Yoga Philosophie

WEISHEITSLEHRE

Die großen östlichen Weisheitslehren und Übungssysteme gehen den Grundfragen des Seins nach, um die innere Natur des Menschen und seine Stellung im Kosmos zu erkennen. Yoga ist eine der Antworten.


Die Vedische Kultur ist als Sanatan bekannt.

Es ist die ewige Kultur, durch die Yoga seit frühester Zeit übermittelt worden ist. Paramahamsa Niranjanananda

SANATANA DHARMA

Sanatana Dharma bedeutet „ewige Ordnung“ und so vereint die Sanatana Kultur die Offenbarungen, das Wissen, die Gedanken, Erfahrungen und Lehren zahlreicher Heiliger und Weiser aus den vergangenen Jahrtausenden. Sie  beinhaltet verschiedene philosophische Konzepte, praktische Unterweisungen und Übungen mit dem höchsten Ziel, die endgültige Vereinigung mit dem all-Seienden zu erreichen.


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DIE VIER DARSHANAS

Darshana sind große Denkschulen in der indischen Weisheitslehre. Darshana bedeutet „sehend, schauend, zeigend, lehrend“. Die Lehren sind aus dem unmittelbaren „Sehen, Erleben, Erfahren“ der transzendenten Wahrheit durch Rishis (Seher) entstanden. So wie verschiedene Perlen eines Rosenkranzes von einem einzigen Faden geknüpft zusammen gehalten werden, sind die Traditionen Samkhya, Vedanta und Tantra durch Yoga verbunden.

Yoga ist der zugrunde liegende praktische Aspekt der spirituellen Traditionen. denn Yoga ist eine Wissenschaft des Bewusstseins und ein System zur Umorientierung der gesamten menschlichen Person in Richtung Positivität, Ausgeglichenheit und Sozialkompetenz. Ein Prozess der Entspannung und der Selbstwahrnehmung wird durchlaufen, der den Menschen mit seinem wahren SELBST, Atma, verbindet und in bedingungslose Glückseligkeit, Ananda eintauchen lässt.


Erst ein Verständnis der Weisheitslehren von Samkhya, Vedanta und Tantra führt auf dem praktischen sprirituellen Weg von Yoga zur Erlangung der innere Freiheit. Um der ganzen Spannbreite des menschlichen Lebens gerecht zu werden, bedarf es also aller vier Darshanas. Die Yoga Lehre umfasst nur ein Viertel der menschlichen Entwicklung und des spirituellen Wachstums, Samkhya, Tantra und Vedanta je ein weiteres Viertel.

TANTRA

Yoga hat seinen Ursprung im Tantra. Genau genommen sind die Tantra Shastras die Grundlage und Yoga ist ein Zweig von Tantra, denn Asanas und Pranayama, Mantras und Yantras bilden einen zentralen Teil des tantrischen Systems.


Der Begriff Tantra setzt sich aus den beiden Sanskritworten Tanoti, Ausdehnung des Bewusstseins und Trayati, Freisetzung der blockierten Energie zusammen.

Tantra ist die Wissenschaft des Geistes, die sich mit dem Erwachen des schlafenden Energiepotenzials und der Ausweitung des menschlichen Bewusstseins befasst.

Die Tantra Lehre ist in zwei verschiedene Konzepte aufgeteilt, in den linkshändigen Tantraweg Vamachara und in den rechtshändiger Tantraweg Dakshinachara. Während Dakshinachara die konventionellen Regeln beachtet, möchte Vamachara durch das Brechen aller Regeln und Tabus die Konditionierungen überwinden.

Im Tantra wird das Universum als Zusammenspiel von reinem Bewusstsein Shiva, und der schöpferischen Energie Shakti gesehen, die aber letztendlich eins sind. Tantra ist eine monistische Lehre, die darauf zielt, das menschliche Bewusstsein zu läutern und auszuweiten, damit es sich mit dem höchsten Bewusstsein vereinigt (samapatti). Im Tantra wird meist das göttliche Prinzip in der weiblichen Form als Shakti Devi, als Urmutter der kosmischen Schöpfungsenergie verehrt.


Paramahamsa Niranjanananda erläutert bzgl. der tantrischen Wurzeln des Bihar Yoga, dass jede Stufe, jede Situation und jede Lebensbedingung vorbehaltlos angenommen werden soll. Als Analogie für die Ganzheit jedes menschlichen Wesens benutzt er das Bild von ‚Kopf, Herz und Hand’ und führt aus, dass mit der Vernachlässigung eines Bereiches alles unvollständig bleibt. Alle Lebensaspekte sollen in der Persönlichkeitsentwicklung eingeschlossen werden. Alle situation und Erfahrungen dienen der Selbsterkenntnis und können zur Weiterentwicklung genutz werden.

Die Tantra-Shastras erläutern die Mittel auf dem spirituellen Weg - die Arbeit mit Mantras, Yantras, Mandalas und Mudras - und beschäftigen sich mit den feinstofflichen Energiezentren im menschlichen Körper, den Chakras sowie der Erweckung der spirituellen Kraft Kundalin

SAMKHYA

Das Samkhya System ist schon früh mit dem Yoga eine enge Verbindung eingegangen. Samkhya lieferte die Theorie, Yoga bildete die Praxis.


Samkhya gilt als eines der ältesten philosophischen Systeme indischen Ursprungs und hatte großen Einfluss auf spätere Entwicklungen innerhalb der indischen Philosophie. Buddhas Lehre ist stark von der Samkhya Lehre geprägt. Buddhas Geburtsort heißt Kapilavastu, Wohnstadt von Kapila.

Die Überlieferung nennt Kapila, Autor des verlorengegangenen Samkhya-Sutra, als Begründer des Systems. Ob es sich hierbei um eine historische oder um eine rein legendäre Person handelt, ist in der Forschung umstritten. Sein Wirken wird um 600 vor Christus datiert. Als einziger überlieferter Text ist die Samkhya-Karika von Ishvarakrishna, eine Sammlung von insgesamt 72 Sutras, also Lehrstrophen erhalten, die erst 1000 Jahre später um 600 n. Chr. verfasst wurden.


Der Sanskrit-Begriff Sāṃkhya; auch Sāṅkhya bedeutet wörtlich "Zahl", "Aufzählung" oder "das, was etwas in allen Einzelheiten beschreibt".

Beginnend mit Purusha, dem reinen Bewusstsein und Avyakta Parkriti, der ruhenden Urnatur entfaltet die Samkhya Lehre dann 25 Tattvas (Seinsweisen) und präsentiert so ein vollständiges Bild von der feinstofflichen bis hin zur grobstofflichen Welt.

Der Mensch soll über verfeinerte Erkenntnis zur Wahrheit gelangt und hierbei erfahren, dass das reine Licht des reinen Gewahrseins sein wirkliches Sein ist -  ungeboren und unsterblich.

Der Erkenntnisprozess, was oder wer wir nicht sind – nämlich weder Körper, Denken und Fühlen - wird Viyoga, das Lösen falscher Identifikationen genannt.

Die Samkhya Lehre zielt somit auf eine vollständige mentale Neuausrichtung, nämlich das Lösen von der Bindung an die vergängliche Welt (samyoga) und die Anbindung an die Kraft des Höchsten.

Die Samkhya Lehre strebt also nach Jnana, der Erkenntnis in einem absoluten und existenziellem Sinn, die weit über die intellektuellen Verstandeskräfte hinaus geht.

Yoga ist das Mittel, mit dem die Samkhya Lehre umgesetzt wird.

VEDANTA

Vedanta betont die Entfaltung der universellen, menschlichen Natur, die als Entwicklung weg von der Dualität hin zur Einheit angesehen wird. Die universelle menschliche Natur ist Ausdruck der göttlichen Qualitäten, die den Geist über die Dualität erheben und zur Erfahrung der Einheit mit dem höchsten Bewusstsein führen.

Das zentrale Thema der Vedanta Lehre ist die Allgegenwärtigkeit, Allwissenheit und Allmacht des All-Seienden. Das Individuum hingegen sei nur ein Schauspieler auf der Bühne der Erscheinungen. Maya verberge wie ein Schleier den das All-Seienende, Brahman, vor unserer Wahrnehmung und lasse somit die Dualität als real erscheinen. Vedanta betont aber das Erfahren der ultimativen Wahrheit mit den Qualitäten Satyam (Wahrheit), Shivam (Güte) und Sundaram (Schönheit).

Um die transzendentalen Wirklichkeit mit ihren Qualitäten zu erfahren, muss der Mensch fähig werden, seine Gedanken und Emotionen zu harmonisieren und sein Verhalten und Aktivitäten positiv auszurichten.

Meditative Kontemplation, der Glaube an Gott, Vertrauen in sich selbst, Wertschätzung und ein Leben in Harmonie mit Umwelt und Natur, das Erleben der Einheit in allen Interaktionen - dies sind einige der Grundlagen der vedischen Tradition.

Der Schlüsselaspekt von Advaita Vedanta ist demnach die Identifikation mit dem höheren SELBST mittels der Überwindung der Grenzen des kleinen, individuellen Selbst. Alles im Universum entstammt einer einzigen Quelle. Ishvara ist ein anderes Wort für das ewige und immer währende Prinzip.

YOGA

Yoga ist eine vollständige humanistische Geisteswissenschaft und ein Übungssystem, welches von den Saraswati-, Kaveri-, Narmada-, Godawari- und Ganges-Zivilisationen in Indien entwickelt wurde und über mehrere Tausend Jahre Studien innerer Erfahrungen umfasst. Die Lehren wurden den Sehern, Rishis  in tiefer Meditation enthüllt.

Die Yoga-Tradition wurde im Wandel der Zeiten durch Seher und Sannyasins in Indien erhalten und der Nachwelt in unmittelbaren Kontkat vom spirituellem Lehrer, Guru, an den Schüler, Chela, weitergegeben.

Das Wort Yoga entstammt dem Sanskritwort yuj und bedeutet ‚anjochen, zusammenbinden, anspannen, anschirren‘ und wird als „Vereinigung“ des individuellen mit dem universellen Bewusstseins definiert. Die „Vereinigung“ findet auf vielen unterschiedlichen Ebenen statt - beispielsweise in der Übungspraxis durch die Achtsamkeit auf den Körper, die Haltung, den Atem, die Gedanken und Emotionen, den Energiefluss. So kann Yoga als die Integration von Kopf, Herz, Hand und Seele bezeichnet werden.


Die Techniken des Yoga wurden erstmals von Patanjali in den Yoga-Sutras systematisch zusammengefasst. Die genauen Hintergründe ihrer Entstehung - zwischen 200 v. und 200 n. Chr. - sind nicht bekannt.

Patanjalis 195 Sutras bestehen aus kurzen, prägnanten Sätzen, die als Merksätze dienen und einer vertieften Erläuterung bedürfen. (Sanskrit „sutra:“ bedeutet Leitfaden).

Wie in der modernen Psychologie werden die Funktionsweise des Geistes, Hindernisse, Schwierigkeiten und Störungen im Geist beschrieben, die Selbsterkenntnis und reflektiertes Handeln verhindern. Wird der empfohlene achtstufige Pfad befolgt, lassen sich die Ursachen des Leids erkennen und in der Zukunft vermeiden, und der Weg zu Selbsterkenntnis und Glückseligkeit wird geebnet. Patanjalis Yoga wird auch klassischer Yoga, Raja Yoga oder Kriya Yoga bezeichnet.

Patanjalis erstes Yoga Sutra 1.1 lautet: „Atha yoga anuśāsanam“ – „Die Einführung von Yoga beginnt.“

Und schon im zweiten Yoga Sutra 1.2 wird Yoga definiert „Yogas citta vritti nirodha.” – „Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der dauernd sich verändernden mentalen Muster“.

Yoga Sutra 2.46 trifft die entscheidende Aussage über Asana, also die körperliche Übungspraxis: „Sthiram sukham asanam.“ - „Die Haltung soll stabil und angenehm sein.“

Yoga Sutra 2.47 verweist auf die Notwendigkeit der Entspannung: „Prayatna shaithilya anantya samapattibhyam.” – „Indem wir alle Anspannung loslassen,

können wir uns auf das Unendliche ausrichten.“


Die Lehre und Übungsanweisung wird in den Sutren systematisch erläutert und schon in Yoga Sutra 1.14 darauf hingewiesen, dass es ein disziplinierter Übungsweg ist. “Sa tu dirgha kala nairantarya satkara sevitah.” - „Wird eine Praxis lange Zeit ohne Unterbrechung und mit Hingabe verfolgt, dann wird sie zur stabilen Grundlage.“


Ziel von Yoga ist die Selbst-Verwirklichung. Yoga Sutra 1.3 beschreibt dies mit „Tada Drashtuh svarupe vashtanam.” – “Dann ruht der Seher in sich selbst.“

Achtsamkeit, neutrales Gewahrwerden wird auf allen Ebenen und in aller Übungspraxis gefördert, bis schließlich der innere Seher die Funktionsweise der Geisteskräfte erkennt und sie überwindet. In der mystischen Gipfelerfahrung – Samadhi oder Samapatti genannt – verschmilzt die individuelle Bewusstheit mit dem universellen Bewusstsein und ist dabei vollkommen wach – erleuchtet – und ruht in sich.

Yoga führt zum Erkennen unserer wahren Natur. Sie ist reines Sein (sat), Bewusstsein (chit) und Glückseligkeit (ānanda). Sat सत -chit चित -ānanda आनन्द

RAJA YOGA

Raja Yoga bedeutet königlicher Yoga Weg. Das Ziel von Raja Yoga ist es, das Gemüt zu beruhigen und einen umfassenden ausgeglichenen Zustand zu erreichen, damit das individuelle Bewusstsein mit dem umfassenden kosmischen Bewusstsein verschmelzen kann.

Der Weise Patanjali ordnete die Yoga Übungen in acht Stufen. Diese seien laut Paramahamsa Niranjanananda in allen Yoga- Wegen und –Stilen anzuwenden, was aber in der modernen Gesellschaft nicht geschehe.


ERSTE STUFE

Die erste Stufe umfasst einen Verhaltenskodex, der die Rahmenbedingungen für eine solide Basis vorgibt, auf der die spirituelle Entwicklung voran schreiten kann. Yama gibt als allgemeine Ordnung fünf Regeln für die soziale Beziehungsebene vor:

Ahimsa – Gewaltlosigkeit,

Satya – Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit

Asteya - Nicht Stehlen, Akzeptanz der Bedingungen

Brahmacharya - Wandeln im Bewusstsein um die Quelle, aus der wir kommen

Aparigraha – Begierdelosigkeit, mehr Gelassenheit durch weniger Ablehnung und Anziehung


ZWEITE STUFE

Niyama beschreibt als persönliche Disziplin fünf Regeln für die eigene „Seelenhygiene“:

Shauca – Reinheit von Körper und Geist

Santosha – innere Zufriedenheit

Tapasya – Selbstdisziplin und Askese

Svadhyaya - Selbststudium, Selbsterforschung

Ishvara Pranidhana - Hinwendung zur Quelle, aus der wir kommen


DRITTE STUFE

Asanas können als Körperhaltungen, in denen man voller Leichtigkeit und in perfekter Harmonie mit sich selbst verweilt, definiert werden.

Der Wortwurzelstamm „as“ bedeutet Sitzen; Asana ist somit eine Sitzhaltung.

Die Asana Praxis heute zielt mit vielen verschiedenen Haltungen und Bewegungen darauf hin, den Körper gesund und die Energien in Harmonie zu erhalten und die Wahrnehmung zu verfeinern.


VIERTE STUFE

Pranayama wird meist mit Atemübungen übersetzt. Pranayama beinhaltet jedoch deutlich mehr, denn der Atem ist der Träger der feinstollfichen Vitalenergie Prana. Prana durchflutet alles Sein und geht auch dem Atem voraus. Pranayama zielt auf die verfeinerte Wahrnehmung, Ausdehnung und Lenkung von Prana . Pranayama Techniken werden zum emotionalen und geistigen Management, zur Anregung der Selbstheilungskräfte und schließlich als Meditationspobjekt zur Verbindung mit dem kosmischen Seinsgrund eingesetzt.


FÜNFTE BIS ACHTE STUFE

Patanjali definiert drei Arten von Meditationstechniken. Sie sind Teil des meditativen Prozesses und bauen auf einander auf: Pratyahara, Dharana und Dhyana. Erst die vollendete Übungspraxis jeder Stufe ermöglicht dann die meditative Gipfelerfahrung Samadhi, die als Gnade angesehen wird.

5. Stufe: Pratyahara, das Zurückziehen der Wahrnehmung von den Sinnen, um sie nach innen zu lenken

6. Stufe: Dharana, die verfeinerte Achtsamkeit mit Fokus auf ein Objekt der Achtsamkeit (Konzentration)

7. Stufe: Dhyana, Konzentration. Die Konzentration kann nun mit Leichtigkeit über eine längere Phse aufrecht erhalten werden. Die Gedankenmuster sind schon weitgehend zur Ruhe gekommen und stören nicht mehr.

8. Stufe: Samadhi, Meditation, Versenkung, das „Eins-Sein“ mit dem unveränderlichen ewige Seinsgrund